Ein nicht unwesentlicher Teil des Parteienspektrums befürwortet die Einführung einer allumfassenden, verpflichtenden Einheitsversicherung, beschönigend auch als Bürgerversicherung bezeichnet, die die bewährten Strukturen unseres dual finanzierten Krankenversicherungswesens mit gesetzlichen und privaten Anteilen abschaffen würde.
Auch weigert sich die Politik auf Bundesebene bisher beharrlich, die nahezu uneingeschränkte Möglichkeit für  ausländische Kapitalinvestoren, deutsche Zahnarztpraxen aufzukaufen, einzuschränken mit allen ihren negativen Folgen für die zahnärztliche Versorgung unserer Patienten und letztendlich auch für unseren Berufsstand.

Auf diese beiden Themen fokussiert haben Ihre Vorstände von Kammer und KZV einige kurze Videoclips im Interviewstil erstellt.

In den Wahlprogrammen einiger deutscher Parteien wird für unser Gesundheitssystem übereinstimmend die sogenannte Bürgerversicherung statt des bisherigen Nebeneinanders von gesetzlicher und privater Krankenversicherung gefordert. Was halten Sie von einer solchen Bürgerversicherung?

 

Wie sieht es denn in einer Bürgerversicherung mit den medizinischen Leistungen aus? Wird Deutschland damit weltweit an der Spitze der medizinischen Leistungskraft bleiben?

Wie sieht die Unternehmensstrategie von Investoren-MVZ aus?

 

Wie funktioniert die Renditestrategie der Investoren-MVZ?

 

Wir erwarten Grenzen für die Investoren-MVZ und Transparenz für Patienten!

Rechte und Pflichten im SIXPACK

Zahnärztliche Positionen zur Gesundheitspolitik

In Westfalen Lippe vertreten die KZVWL und die ZÄKWL die Interessen der Zahnärzteschaft. Beide Körperschaften öffentlichen Rechts handeln im subsidiären Auftrag: Die KZVWL im Bereich der Sicherstellung zahnärztlicher Versorgung für die gesetzlich Versicherten nach Sozialgesetzbuch, die ZÄKWL im Bereich der zahnärztlichen Tätigkeit nach Heilberufsgesetz. Neben diesen obligaten Aufgaben, werden der Zahnärzteschaft in WL und darüber hinaus den Patientinnen und Patienten zahlreiche fakultative und optionale Dienstleistungen angeboten.
Alle Aktivitäten der Körperschaften werden getragen von den Grundsätzen der Freiberuflichkeit: Der Eigenverantwortlichkeit, der Gemeinwohlverpflichtung, der Professionalität und der Selbstkontrolle im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen.
Die Freien Berufe sind ein Eckpfeiler unserer Gesellschaft. Sie sind in Deutschland ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Arbeits­platzgarant. Hohe gesetzliche und eigenverantwortliche Qualitätsstandards sorgen im zahnmedizinischen Bereich für ein hohes Maß an Versorgungsstabilität. Nur die freie Berufsausübung gewährleis­tet das notwendige Vertrauensverhältnis, damit Patienten und Zahnärzte selbstbestimmt und frei von Einflüssen Dritter individuelle und bedarfsgerechte Therapieentscheidungen treffen können. Der zahnärztliche Dienst am Patienten ist mehr als eine schlichte Dienstleistung, die z. B. verschiedene Berufsgruppen unter sich aufteilen wollen. Die zahnärztliche Verantwortung ist unteilbar.

1. Freiberufliche Eigenverantwortung stärken
Die Leistungsfähigkeit der freiberuflich niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte beruht auf der Selbstorganisation des Berufsstandes. Freie Arzt- und Zahnarztwahl, Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung machen die Stärke unseres Gesundheitswesens aus. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt hat.
Diese Eckpfeiler gilt es auch weiterhin zu festigen und weiter auszubauen. Sie müssen die Richtschnur politischen Handelns bilden.
In der Corona-Pandemie haben die ambulant niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen gezeigt, wie leistungsfähig, verlässlich und belastbar die zahnärztliche Versorgung ist. Gestaltungsspielräume der zahnärztlichen Selbstverwaltung wurden in den letzten Jahren durch staatliche ­Eingriffe immer weiter eingeschränkt – aus Selbstbestimmung wird zunehmend Fremdbestimmung. Die aktuelle Gesetz­gebung setzt den Weg fort, die Pflichten der Angehörigen der Heilberufe und Leistungsträger im Gesundheitswesen immer weiter auszuweiten und ihre Rechte und die Gestaltungsmöglichkeiten immer ­weiter einzuschränken. Nur die Entlastung von Bürokratie, eine wirtschaftliche Unabhängigkeit und eine starke Selbstverwaltung sichern unsere hohe zahnärztliche Qualität.

2. Erhalt der flächendeckenden Versorgung
Freiberuflich niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte in Einzel- oder Gemeinschaftspraxen sind das Rückgrat der qualitativ hochwertigen flächendeckenden zahnmedizinischen Versorgung. Zunehmend drängen Kapitalinvestoren in das Versorgungsgeschehen. Zahnarztpraxen werden dadurch zum Renditeobjekt und die zahnärztliche Behandlung zu einer auf Gewinnmaximierung auf Kosten der Versichertenbeiträge und der Steuerzuschüsse zur gesetzlichen Krankenversicherung ausgerichteten Leistung. MVZ-Ketten verdrängen kleinere Praxen. Sie entfalten zudem eine Sogwirkung auf junge Zahnärztinnen und Zahnärzte. Dies führt zu einer Verschlechterung der flächendecken­den Versorgung, da sich die Investoren-MVZ in einkommensstarken Regionen, Städten und Ballungsgebieten konzentrieren. Die Konsequenz muss eine weitere Niederlassungsbeschränkung von versorgungsfremden MVZ in Investorenträgerschaft sein. Gleiche Wettbewerbsbedingungen sind herzustellen. Ein MVZ-Register zur Trans­parenz über Inhaber- und Beteiligungsstrukturen ist einzurichten. Zum Erhalt der flächendeckenden Versorgung müssen zur Förderung der freiberuflichen Niederlassungen vom Staat dringend Verbesserungen der Infrastrukturen gerade im ländlichen Bereich vorgenommen werden. (Siehe dazu auch das Editorial des Vorstandsvorsitzenden der KZVWL)

3. Patientensouveränität ist Versorgungs­anspruch
Krankenkassen und Kassenzahnärztliche Vereinigungen werden vom Gesetzgeber verpflichtet, in jedem Bundesland eine jährliche Gesamtvergütung/-budget für vertragszahnärztliche Leistungen festzulegen. Die Kopplung der Leis­tungsmenge vertragszahnärztlicher Leistungen an die Entwicklung der Beitragseinnahmen der Krankenkassen wird dem Versorgungsanspruch der Patienten allerdings nicht mehr gerecht.
Nur die Vergütung jeder einzelnen Leis­tung kann als Grundlage einer freien Therapieentscheidung zwischen Zahnarzt und Patient im Interesse einer befundbezoge­nen Versorgung dienen. Die Wahlleistungsfreiheit der Patienten darf durch die Sachleistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht eingeschränkt werden. In diesem Sinne ist auch eine einheitliche Zwangsversicherung wie die sogenannte „Bürgerversicherung“ abzulehnen. (Siehe dazu auch das Editorial des Präsidenten der ZÄKWL)

4. Honoraranspruch eines Freien Berufes
Seit der Einführung der Gebührenordnung Zahnärzte (GOZ) vor 32 Jahren ist der Punktwert nicht mehr der ständig steigen­den Kosten­entwicklung in den Praxen angepasst worden. Entsprechende Ausgleichsmechanismen sind im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung im SGB V verankert, den privatzahnärztlichen Honoraren wird diese Anpassung aus ideologischen Gründen seitens der Politik verwehrt. Der Verordnungsgeber ist damit seiner Verpflichtung zur Angleichung des Punktwertes an die wirtschaftliche Entwicklung nicht nach­gekommen. Damit wurde die Bestimmung des Zahnheilkundegesetzes zur Schaffung eines Interessensausgleichs zwischen den Leis­tungserbringern und den zur Zahlung Verpflichteten fortgesetzt missachtet. Der Honoraranspruch eines Freien Berufes muss nicht nur der Therapiefreiheit zwischen Zahnarzt und Patient gerecht werden, er muss auch den betriebswirtschaftlichen Zwängen einer jeden Zahnarztpraxis nachkommen.

5. Digitalisierung als Instrument der Qualität
Die Zahnärzteschaft erbringt eigenverantwortlich und führend in Deutschland digitale Techniken und Verfahren in der Diagnostik, der Befundung, der Therapie und der Dokumentation zahnärztlicher Leistungen. Digitalisierung ist ein Instrument zur Qualitätssicherung, zur Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen und zur Zeit- und Kostenersparnis. Digitale Vernetzung im Gesundheitswesen darf nicht zu mehr Bürokratie führen, sondern muss zur Entbürokratisierung führen und die Datensicherheit für Zahnarzt und Patienten garantieren. Sanktionspolitik und überzogene Datenhaftung sind keine Kriterien für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen.

6. Mundgesundheit – ein Leben lang
Die großen Erfolge der Zahnärzteschaft in der Prävention sind dokumentiert. Der Erhalt der Mundgesundheit bei vulnerablen Gruppen unserer Gesellschaft, wie den Pflegebedürftigen oder den Menschen mit Behinderungen, ist dem Berufsstand ein besonderes Anliegen. Alle Gesundheitsberufe müssen dieses Ziel vertieft in der Ausbildung und der Berufsausübung thematisieren. Jedoch erreicht man dieses Ziel nicht von selbst. Die Bereitstellung der erforderlichen Mittel ist die Grundlage für eine zukunftsfähige Stabilität der Mundgesundheit ein Leben lang.

Für den Erhalt der Versorgungswerke in ihrer originären Art

Die Zahnärztinnen und Zahnärzte in Westfalen-Lippe setzen sich für den Fortbestand ihrer berufsständischen Versorgungswerke ein. Das funktionierende System sichert den Angehörigen der Freien Berufe ihre Rente im Alter, sichert sie bei Berufsunfähigkeit ab und sorgt für die Hinterbliebenen. Wir betonen, dass unser System ausschließlich aus eigenen Mitteln finanziert wird, keinerlei Bundeszuschüsse erhält, und in allen Bundesländern sowie anderen Freien Berufen hervorragend funktioniert.

Damals wurden die Versorgungswerke als Reaktion und Ersatz für den Ausschluss der Freien Berufe aus der gesetzlichen So­zialversicherung im Rahmen der Adenauerschen Rentenreform gegründet. Die Mitglieder berufsständischer Versorgungs­einrichtungen sind wegen ihrer typischen Risiko­eigenschaften und ihrer erworbenen überdurchschnittlichen Leistungsanrechte für die gesetzliche Rentenversicherung überdies nicht lukrativ. Sie leben länger und haben aufgrund höherer Beitragszahlungen höhere Ansprüche bei der Rentenzahlung, die im System der gesetzlichen Rentenversicherung immer auch vom Steuerzahler subventioniert wird. Dies bedeutet, dass die Zahnärztinnen und Zahnärzte bei einem solchen Systemwechsel sowohl für die Rentenversicherung wie auch für den Steuerzahler eine bisher nicht vorhandene Belastung darstellen würden.
Diese wäre dann vorwiegend von der jüngeren Generation in unserem Land zu tragen, weil in der gesetzlichen Rentenversicherung die Jüngeren für die Älteren einstehen. Die Erweiterung des Versichertenpersonenkreises in der gesetzlichen Rentenversicherung um unsere Mitglieder vergrößert dadurch die Probleme, da jeder zusätzliche Beitragszahler in späteren Jahren ein zusätzlicher Anspruchsteller sein wird.

Unsere Mitglieder entziehen sich nicht der Solidarität, sondern beteiligen sich als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ohnehin mit ihren Steuern an diesen Lasten, ohne daraus Leistungen in Anspruch zu nehmen. Es besteht kein Anlass oder positiver Effekt für die Einbeziehung unserer berufsständischen Versorgungswerke in die gesetzliche Rentenversicherung.

Wir fordern daher die Politik auf, im Sinne der Nachhaltigkeit und der Genera­tionengerechtigkeit in der Deutschen Rentenversicherung die Pläne einer Einbeziehung der Altersversorgung der Freien Berufe in die Deutsche Rentenversicherung fallen zu lassen.

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Gegenüberstellung der politischen Parteien

Gemeinsames Editorial Jost Rieckesmann und Dr. Holger Seib ZBWL 3/21

Den Kompass verloren

Die großen Ferien stehen bevor, die dritte Coronawelle ebbt ab, es ist die Zeit für uns alle, die Seele wieder einmal etwas baumeln zu lassen. Eigentlich!

Aber ein für uns in den Praxen für die nächsten Jahre alles entscheidender Termin steht bereits direkt nach den Ferien im September an – die Bundestagswahl! Die Entscheidungslage ist dieses Mal besonders problematisch.

Die bei uns allen langjährig etablierte Unterstützung politischer Parteien gerät ins Wanken aufgrund des Versagens der ­Politik während der Pandemie. Aber jede Pandemie, auch diese, man glaubt es kaum, ist irgendwann vorbei und es heißt die Scherben aufkehren und den Blick nach vorne richten, um unser Land schnellstmöglich wieder auf Kurs zu bringen.

Seit fast einem Jahr haben wir uns alle gewöhnt an staatliche Kontrollen und z. T. wenig nachvollziehbare Vorschriften bis hin zur Einschränkung von Grundrechten durch das Infektionsschutzgesetz. Nun steht mit der Bundestagswahl in dieser Hinsicht eine Richtungswahl an!

Beschreiten wir weiter den Weg der zentralistischen staatlichen Regulierungswut und Gängelung oder kommen wir wieder in das ruhigere Fahrwasser der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung? Übertragen auf unsere Situation als Zahnärzteschaft heißt das: Erhalt der Freiberuflichkeit in selbstständigen Praxen oder nicht?

Schaut man in die Wahlprogramme der Parteien, lässt sich unschwer erkennen, wer in welchem Lager steht.

Auf der einen Seite die Befürworter der staatlich einheitlichen Zwangsversicherung, sozialromantisch verklärend auch immer wieder als „Bürgerversicherung“ umschrieben.

Auf der anderen Seite die Verfechter unseres seit Jahrzehnten bewährten dualen Krankenversicherungssystems mit gesetzlicher und privater Absicherungsmöglichkeit.

Dieses ist die wirtschaftliche Grundlage für die zitierte Freiberuflichkeit in Selbstständigkeit, die Ihren Wert jetzt während der Pandemie eindrucksvoll bewiesen hat, indem sie die zahnmedizinische Versorgung unter schwierigsten Bedingungen sicher­gestellt hat, während in vielen staatlich kontrollierten Bereichen die Versorgung zum Erliegen kam.

Die Vorteile der Beibehaltung unseres bewährten Systems der dualen Finanzierung der Krankenversicherung liegen also auf der Hand.

In diesem Sinne wird es eine für uns und den gesamten medizinischen Bereich maßgebliche Richtungswahl zwischen zwei politischen Lagern geben, hinter der weitere Entscheidungsinhalte für unser berufliches Umfeld und die Selbstverwaltung weitestgehend in Ihrer Bedeutung zurückstehen.

Noch mehr Staatsdirigismus und Kontrolle auf der einen Seite oder die Rückkehr zu einem eigenverantwortlich und selbstbestimmten Leben in Liberalität!

Die Wählerinnen und Wähler sollten sich ihren Blick nicht durch einseitige Darstellungen im medialen Mainstream, der Fakten im Gesundheitswesen oft tenden­ziös und unvollständig darstellt, trüben lassen. Erst die Kenntnis der Fakten verschafft Überblick und Basis für politische Entscheidungen wie z. B. eine Bundestagswahl. Die Gefahr besteht, dass nach den Fehlschlägen der Regierungsverantwortlichen „aus dem Bauch heraus“ im Sinne einer Protestwahl die Stimme abgegeben wird, ohne sich der Konsequenzen des dadurch eingeleiteten Systemwechsels bewusst zu sein.

Wir rufen Sie alle auf, in den vielen tagtäglichen Gesprächen, die Sie führen mit Mitarbeitern, Patienten oder in privaten und gesellschaftlichen Kreisen, jetzt und rechtzeitig vor der Wahl hier für die notwendige Aufklärung zu sorgen!

Editorial Jost Rieckesmann
ZBWL 4/21

… und täglich grüßt das Murmeltier!

Wie in einer Zeitschleife im gleichnamigen Hollywoodfilm gefangen kommt man sich vor, wenn man die Parteiprogramme der Parteien des politisch linken Spektrums zur Bundestagswahl liest:

Die Bürgerversicherung als Lösung aller Probleme im Gesundheitswesen!

Nun schon zum vierten Mal nach 2009, 2013, 2017 wird sie aus der politischen Mottenkiste gezogen, ist allerdings nie eingeführt worden, obwohl die größte der Parteien, die sie immer fordert, die letzten acht Jahre in der Regierungsverantwortung stand. Warum ist das so?
Die Bürgerversicherung klingt auf den ersten Blick verlockend: Alle sind beteiligt, alle sind solidarisch, keiner ist privilegiert, niemand entzieht sich. Die Beiträge sinken dauerhaft. So das Versprechen.

Schauen wir genauer hin: Ja, alle werden beteiligt, auch Selbstständige, Beamte, Freiberufler. Bei Freiberuflern und Selbstständigen liegt kein festes, regelmäßiges Einkommen vor. Es muss also in jedem Jahr neu gemeldet werden. Dazu müssen alle Einkünfte genauestens offengelegt und überprüft werden. Dies gilt für jeden Bürger, jedes Jahr. Bei festen oder vertraglich geregelten Einkommen ist das noch überschaubar, bei wechselnder Höhe ist das nur mit ständiger Erfassung und Kontrolle möglich. Das wäre dann wohl das Finanzamt 2.0! Aus verfassungsrechtlichen Gründen darf die Krankenkasse nämlich nicht auf den Einkommensteuerbescheid des regulären Finanzamtes zurückgreifen. Eine gigantische Erfassungs-, Überwachungs- und Verwaltungsbürokratie würde vollkommen sinnlos aus dem Boden gestampft. Allein dieser Aufwand würde den erhofften Beitragssenkungseffekt wieder aufzehren.

Man möchte überdies Zugriff auf alle Einkommensarten der Bürger bekommen. Dazu muss man alle Bürger, ob sie wollen oder nicht, in ein Einheitssystem zwängen. Die Betragsbemessungsgrenze soll dabei – je nach Partei unterschiedlich weit – verschoben werden, sodass anteilig immer höhere Zugriffe auf bereits versteuerte Einkommen erfolgen würden.

Das kommt – zumindest in Teilen – einer Enteignung durch die Hintertür gleich und dürfte je nach Grad der Ausweitung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung kaum standhalten.

Und was wird mit den persönlich angesparten, systembedingten Altersrückstellungen in der PKV in Höhe von insgesamt € 235 MRD (2019)? Sollten diese ebenfalls geschluckt werden, wäre das die zweite Enteignung, der zweite Verfassungsbruch.

Will man diese Enteignung vermeiden, müsste man die Berechtigten in der Bürgerversicherung, die ja für alle das Gleiche leisten soll, entsprechend besser stellen. Schon wäre das erhoffte schöne Prinzip „Alle gleich“ an der schnöden Realität verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes gescheitert.
Was ist mit der Leistungsseite?

Einheitsversorgung statt innovativer medizinischer Weiterentwicklung. Keine Systemkonkurrenz der Versicherungsträger, kein Anreiz, bessere Leistungen anzubieten.

Einschränkungen der Therapiefreiheit durch vorbestimmte Behandlungskataloge. Individuelle, befundbezogene Behandlung der Patienten ist im System nicht vorgesehen und muss teuer hinzu gekauft werden. Eine mögliche Einschränkung der freien Arztwahl ist da beinahe schon nebensächlich, wenn ohnehin überall nur dasselbe angeboten werden kann.

Und das Wichtigste:
Eine Bürgerversicherung hat keinerlei Lösungsansätze zum wirklichen Kostentreiber im Gesundheitswesen: Die demographische Entwicklung der Bevölkerung wird mit geradezu mathematischer Konsequenz zu einer höheren Leistungsabfrage und höheren Leistungs­volumina führen.

Dies allein der jüngeren Generation aufzuerlegen durch die ausschließliche Umlage aller Kosten vorwiegend auf den berufsaktiven Teil der Bevölkerung – Jüngere zumeist – ist nicht nur einfallslos, sondern wirklich unsolidarisch.

Mit der Bürgerversicherung ist es wie mit einem Eintopf:
Verhungern tut man nicht, aber immer dasselbe schmeckt auf Dauer fad und auch lange nicht Jedem. Der Einheitsbrei macht es deutlich: Man orientiert sich am einfachen Durchschnitt, das individuell Mögliche oder gar Gewünschte ist gestrichen.

Gesunde Vielfalt kann die Bürgerversicherung nicht bieten!

Editorial Dr. Holger Seib
ZBWL 4/21

Zahnmedizinische Versorgung zukünftig in Investorenhand?

Auch über diese Frage wird indirekt mit der Bundestagswahl am 26.9. abgestimmt, Grund genug, dieses in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Thema noch einmal jetzt aufzuarbeiten.

Internationale meist im Ausland ansässige Investoren kaufen an Stelle von Wertpapieren und Unternehmensbeteiligungen deutsche Zahnarztpraxen, um ihre hohen Renditeerwartungen zu realisieren.

Sie nutzen dabei bekanntermaßen ein Schlupfloch im Gesetz, dass Krankenhäusern ermöglicht, zur Versorgungsverbesserung rein zahnärztliche MVZ’s zu gründen. Doch wie kann eine in Süddeutschland ansässige orthopädische oder dermatologische Fachklinik ihr Versorgungsangebot verbessern, indem sie Zahnarztpraxen in Westfalen-Lippe kauft?

Das passiert in unserem Einzugsgebiet bisher nur vereinzelt, aber stetig zunehmend.

Metro­polregionen wie das Rhein-Main-Gebiet sind bereits jetzt deutlich stärker betroffen. Eine Verbesserung der Versorgung in der Fläche geht damit nicht einher. Übernommen werden in der Regel größere Mehrbehandlerpraxen mit Wachstumspotential in lukra­tiven Lagen, zur Versorgung in strukturschwachen ländlichen Gebieten wird kein nennenswerter Beitrag geleistet.

Das bestätigt auch das Gutachten des unabhängigen wissenschaftlich renommierten IGES-Institut, dass die KZBV beauftragt hat mit einer umfassenden Auswertung bundesweit erhobener Abrechnungsdaten von Investoren-MVZ’s. Das Gutachten ist auf der Webseite der KZBV veröffentlicht.

Es kommt ferner zu dem Schluss, dass auch andere wichtige aber vermeintlich unrentable Versorgungen, wie die Prävention und Behandlung vulnerabler Gruppen bei Bewohnern von Pflegeeinrichtungen oder die Individualprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen, kaum erbracht werden.

Bei Investoren-MVZ überwacht ein zentrales Management die gesamte Leistungsabrechnung, nicht widerlegt sind auch Therapiestandards nach ökonomischen Richtlinien und Umsatzvorgaben. Belegbar sind auch nach dem IGES-Gutachten deutlich höhere Kosten pro Patient als bei anderen Praxisformen.

Natürlich benötigt auch eine traditionelle Praxis wirtschaftlichen Erfolg. Dieses geschieht dort aber in einem Interessensausgleich zwischen Patient und Zahnarzt, der i.d.R. ein Berufs­leben lang von seinem Praxisstandort und der Zufriedenheit seiner Patienten abhängig ist. Dagegen beträgt der Kapitalanlagehorizont von Private-Equity-Gesellschaften nur wenige Jahre. Der Aufbau einer jahrzehntelangen gegenseitigen Vertrauensbasis zwischen Zahnarzt und Patient ist so gar nicht möglich.

Man fragt sich bei dieser Faktenlage zu Recht, warum die Politik das Schlupfloch im Gesetz nicht schließt. Die Mittel in der gesetzlichen Krankenversicherung sind dazu da, die Erkrankungen der Versicherten befundadäquat zu therapieren und nicht möglichst hohe Renditen ausländischer Kapitalanleger zu befriedigen.

Im Hinblick auf die Bundestagswahl sind wir hier gemeinsam mit der KZV Nordrhein und der KZBV in guten Gesprächen mit unserem Landesgesundheitsminister Karl-Josef ­Laumann.